Völker.Wanderung. – Menschen Unterwegs

„Wir seint hier fremde geste“ Niederländer brachten im 17. Jahrhundert auch ihre Bräuche zu uns. Fensterscheibe von 1691
© Grafschafter Museum

Grafschafter Museum im Moerser Schloss
7. Mai – 22. Oktober 2017

„Wir seint hier fremde geste
Und bouwen hooge Veste
Laet uns temmeren un Meuren
Daet wey Ewigh sullen deuren“

Dieser Spruch findet sich auf einer sogenannten Fensterbierscheibe. die Eheleute Hendrick und Elsken Kuippers sowie Johan und Beet Lasfonder schenkten sie im Jahr 1691 einem Nachbarn anlässlich seines Hausbaus zum Einstand und entsprachen damit einer in Niederdeutschland, Skandinavien und Holland verbreiteten Sitte. „Wir seint hier fremde geste“, bezieht sich zwar auf die Bibel (1. Petrus 2,11 / Gerhard Tersteegen: „Wir sind hier fremde Gäste und ziehen bald hinaus“) und meint „Gäste in dieser Welt“, aber zwei Lesevarianten des Spruchs auf der Fensterbierscheibe verdeutlichen die Ambivalenz des „Fremdseins“: Irgendwie sind wir alle fremde Gäste und trotzdem bauen wir für die Zukunft etwas auf. Menschen am Niederrhein sind unterwegs – seit Tausenden von Jahren. Sie kommen und gehen, freiwillig und unfreiwillig, friedlich oder gewaltsam, gerufen oder ungewollt. Mit dem Beginn der Jungsteinzeit vor rund 7.500 Jahren gaben verschiedene Stämme ihr Nomadenleben auf und errichteten dauerhafte Siedlungen. Aber das war nicht das Ende der Wanderungsbewegungen am Niederrhein, sondern der Anfang.
Germanen, Römer, Franken – kamen, gingen oder blieben. Aber nicht nur die Vor- und Frühgeschichte, die antike und das Mittelalter sind durch Wanderungsbewegungen geprägt. In der Frühen Neuzeit war es vor allem die Religion, die Menschen am Niederrhein in Bewegung brachte. Glaubensfüchtlinge aus den Niederlanden und Frankreich ließen sich in protestantischen Gebieten am Niederrhein nieder. Oft spielten die protestantischen Glaubensfüchtlinge in ihren neuen Heimatstädten eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen und politischen Leben. Weniger friedlich kamen die Franzosen Ende des 18. Jahrhunderts an den Niederrhein. Mancher fühlte sich damals fremd in der „eigenen Heimat“ als Französisch Amtssprache wurde und die revolutionäre Zeitrechnung galt. Gut 100 Jahre später war es eine andere Revolution, die die Menschen in Bewegung brachte: nach der Industrialisierung lockte der Bergbau viele Menschen auf der Suche nach Arbeit an den Niederrhein und sorgte in den Bergbaustätten für einen rasanten Bevölkerungsanstieg.
Die Zugezogenen brachten nicht nur fremde Sprachen und Gebräuche an den Niederrhein, sie veränderten auch die konfessionelle Verteilung in mehrheitlich protestantischen gebieten, da viele der Bergarbeiter aus katholischen Regionen stammten. In manche Gemeinden brachten sie zurück, was beispielsweise die calvinistischen Moerser Grafen erfolgreich unterdrückt hatten: den Karneval! Die bisher größte Integrationsleistung erbrachte der Niederrhein – wie ganz Deutschland – nach 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren von den insgesamt 65,9 Millionen Menschen, die in den vier Besatzungszonen lebten, 13,8 Millionen Flüchtlinge oder Vertriebene: 21 Prozent der Gesamtbevölkerung. So lag der Anteil der Vertriebenen an der Bevölkerung in Moers, Kempen, Krefeld, Dinslaken und Recklinghausen beispielsweise bei 17 bis 20 Prozent. Diese 20 Prozent wurden nicht nur erfolgreich integriert, sie wirkten mit am Wiederaufbau der Region und trugen zur gesellschaftlichen und kulturellen Bereicherung bei.

„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ (Max Frisch) – und sie blieben: „Gastarbeiter“ seit den 1960er Jahren. In den 1990er Jahren kamen viele Spätaussiedler an den Niederrhein und nach Moers. Aktuell steht unsere Region vor einer ähnlich großen Integrationsaufgabe wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie damals leben unter uns wieder Tausende von Menschen, die Heimat, Familie, Hab und Gut verlassen mussten und sich nun eine neue Existenz aufbauen wollen und müssen. Die Ausstellung zeigt die Wanderungsbewegungen am Niederrhein von der Vor- und Frühgeschichte bis in die Gegenwart.

Bergmannschaft Schacht V
© Grafschafter Museum

Grafschafter Museum im Moerser Schloss
Kastell 9 D-47441 Moers
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